Do, 21. Mai 2009

Lenny Kravitz im Interview: Labern für die Liebe

VOLUME hat für euch im Schatten des Eiffelturms einsam ein Billig-Baguette mit dreierlei Käse gefuttert, während der Grund der Pariser Stippvisite abends mit Bob Dylan dinierte. Ein kleiner Ausflug in die widersprüchliche Welt des Lenny Kravitz.

Als ich an diesem lauen Frühlingsnachmittag in der Pariser City ins Taxi steige, um in den Norden der Stadt zu gelangen, wird der Taxler zuerst einmal ein bisserl unrund. In diese Gegend würde er mich auf keinen Fall bringen, meint er, da hätte er erstens zuviel Angst um Auto und Gesundheit, zweitens fände er dort sicherlich niemanden, den er als Fahrgast guten Gewissens zurück mitnehmen könnte. Als ich ihm erkläre, dass ich dort einen recht wichtigen Rockstar treffen sollte und angesichts der Pariser Rush-Hour eh schon viel zu spät dran sei, macht er eine Ausnahme. Er versperrt das Auto von innen und fährt los. Nach Aubervilliers – einen Stadtteil, der vor allem durch eines geprägt ist: Armut. Einen Stadtteil, der anno 2005 traurige Berühmtheit erlangte durch die Massenunruhen sozial benachteiligter jugendlicher Migranten. Einen Stadtteil, der geprägt ist von erschreckend desolater Architektur und in den sich, so erzählt man mir später, kein hellhäutiger Franzose freiwillig verirrt.

Der Widerspruch bei Ankunft am Vorplatz des Radiostudios, wo besagtes Treffen mit Leonard Albert K. stattfinden soll, könnte dann nicht größer sein: Der Einlass erfolgt durch schwere Eisentore, die Armut bleibt draußen, drinnen am Gelände liegt dafür etwas Mondänes in der Luft. Gut hundertfünfzig Fotografen und Journalisten werden von Securities im Schäferhund-Stil umrundet und zusammengehalten, ein riesiger roter Teppich versprüht Oscarverleihungs-Atmosphäre. Und dann kommt er. Eine schwarze Mercedes-S-Klasse mit verdunkelten Scheiben fährt vor und Lenny steigt aus. Er kann angesichts des Blitzlicht-Gewitters der Fotografen froh sein, dass er die ihm vor ein paar Jahren irgendwann angewachsene Sonnenbrille auf der Nase hat. Gut schaut er aus für 43, man würde ihm 23 auch abnehmen, Hut ab.

So lange ist es nämlich her, dass er 1989 das Debütalbum „Let Love Rule“ auf die Welt gebracht und zu einem Höhenflug angesetzt hat, der ihn vom damals ernstzunehmenden Rock’N’Roller zum heutigen Büro-Berieslungs-tauglichen Mainstream-Über-Superstar à la Madonna mutieren ließ. An diesem Tag ließ er uns einfliegen, um anlässlich des Re-Releases des Albums und der anstehenden Tour ein wenig zu plaudern. Wobei „plaudern“ in diesen Sphären relativ ist: Bei der Pressekonferenz in dem überfüllten, stickigen Raum des Studios stellt ein eifriges Lenny-Helferlein gleich einmal klar, dass nur Fragen zu Album und Tour erlaubt sind, Privates möge man bitte unterlassen. Danach setzt sich Lenny auf ein Podest-Sesserl, beginnt und beendet jeden Satz mit dem für New Yorker unvermeidlichen „You know“-Füller, beantwortet knapp dreißig Minuten lang eine Handvoll brave Fragen sehr brav. Ein bissi kurz und wenig, denkt der Schelm. Vor allem angesichts der Tatsache, dass er während der Tour keine Interviews geben will. Schau ma mal.

Während Kravitz antwortet, frage ich mich, ob er sich erinnern kann, warum er den Rock`N`Roll verloren und seine großen Vorbilder wie Jimi Hendrix, The Who oder Led Zeppelin vergessen hat. Es kann nicht nur daran liegen, dass sich die Medien bei Stars dieser Kategorie eher für Drumherum-Gossip (im Falle Lennys: Lisa Bonet, Vanessa Paradis, Sexiest Man In Rock, etc.) interessieren anstatt für den musikalischen Output. Dieser ist nämlich in den letzten Jahren zunehmend vom Mainstream-Radio vereinnahmt worden, und Kravitz ist daran nicht ganz unschuldig. Ständig große, abgelutschte Floskeln ohne Angriffsflächen von sich zu geben, steht vielleicht im Superstar-Lehrbuch auf Seite 1, ist aber auch ein gefundenes Fressen für das… nennen wir es einmal „Beliebigkeits-Tüdeldü-Radio“. Und davon einmal gefangen, ist der Weg zurück zur Rock’N’Roll-Credibility ein wahrscheinlich steinigerer als umgekehrt.

Dabei ist der Mann ein musikalisches Genie: Singt sämtliche Stimmen und Instrumente seiner Alben selbst ein, hat eine Range, die sich von Rock über Soul, Funk, R`n`B und Hip Hop zieht. Und aus all diesen Genres sucht er sich gern Kollaborationen, die jede für sich in der Oberliga spielen: Mick Jagger, Madonna, Aerosmith, Slash, Jay-Z, P. Diddy oder Alicia Keys befinden sich in der illustren Runde, die mit ihm zusammengearbeitet haben.

Schade ist es eben dann, wenn er anstatt zu spielen zu reden beginnt (SIEHE Kasten #1): Dann kommen Sachen aus Lenny gesprudelt wie „Immer an dich selber glauben“, „Frieden und Liebe ist der einzige Weg“, „Bin froh, dreimal am Tag warm essen zu können“, „Es ist einfacher, Gitarre zu spielen als ‚Guitar Hero’“ oder „Ich trinke während einer Tour keinen Alkohol“. Hendrix würde ihm angesichts soviel Blabla wahrscheinlich gern eine himmlische Kopfnuss verpassen.

Während Lenny mit dem Gesülze mein Hirn auf kleiner Flamme langsam weichkocht, beendet sein Helferlein die Pressekonferenz und weist auf das eigentliche Highlight des Tages hin. Ein halbe Stunde später wird Mister K. nämlich in der kleinen, anliegenden Konzerthalle des Studios ein kurzes Set spielen, als Vorgeschmack auf die Tour, in voller Band-Besetzung.

Die schreibende Schafherde wird die 50 Meter zur Halle getrieben, man wartet gespannt. Was dann kommt, lässt mich für etwa eine Dreiviertelstunde tatsächlich sämtliche böse Gedanken vergessen. Wenn Lenny Kravitz nämlich etwas kann, dann ist es wie gesagt auf hohem Niveau zu musizieren. Das Set beginnt mit „Freedom Train“ und „Let Love Rule“, es grooved und funkt heftig, Leonard Albert macht die Frontsau und man beginnt die Frauen dieser Welt zu verstehen, wenn sie im Büro am Vormittag auf komische Gedanken kommen, wenn ER im Radio läuft. Es folgen „Flower Child“ und eine grenzgeniale Version von „Mr. Cab Driver“ (die hätte ich vielleicht am Nachmittag meinem Taxler vorspielen sollen, hätte die Sache eventuell einfacher gemacht). Die vorletzte Nummer „Dancin’ Till Dawn“ zieht er endlos lang, baut Michael Jackson’s „Billie Jean“ und Pink Floyd’s „Another Brick In The Wall“ ein, und dann kommt das, was ich mir immer gewünscht habe, aber nie zu sagen getraut habe: „Are You Gonna Go My Way“ einmal live zu hören. Dieses Riff fährt immer noch derart arg, Wahnsinn.

Zehn Minuten später hat Lenny das Gebäude verlassen. Den Grund dafür sehe ich ein: Ein Abendessen mit Robert Zimmerman war ausgemacht. Manche kennen diesen Mann unter seinem Künstlernamen Bob Dylan. Ich bin dann zu Fuß in der Nacht eine halbe Stunde durch Aubervilliers zur Schnellbahn spaziert. Sofern Du diesen Text gerade lesen kannst, ist dabei nix passiert.

DIE TOP 5 DER UN-ROCK’N’ROLLSTEN LENNY-ZITATE
1) „Ich habe nie Trends verfolgt, das war der Hauptgrund für meinen Erfolg.“
2) „Ich wollte nie reich werden, ich versuche einfach, eine gute Zeit zu haben.“
3) „Ich habe ‚Guitar Hero’ probiert, aber ich war furchtbar. Eine echte Gitarre zu spielen ist leichter als dieses Spiel.“
4) „Mit all den Waffen kann das der Anfang vom Ende sein. Wir sollten den Frieden suchen. Das ist das, was ich jeden Tag mache.“
5) „Die Menschen in den brasilianischen Bergen wissen nicht, wer ich bin. Ich genieße das.“

LENNY KRAVITZ EN AUTRICHE:
12. Juni Olympiahalle Innsbruck
13. Juni Stadthalle Wien