Bring Your Own Style

Ein schlauer Mann hat einmal gesagt: Stil kannst du schon kaufen, nur den guten, den eigenen nicht. Aber was ist das eigentlich, der eigene Stil? Über wie viele Bad-Taste-Brücken muss man schreiten um irgendwann im Fashion-Ikonen-Nirwana aufgenommen zu werden? Eine Selbstanalyse von unseren Spezialisten für Alles und jeden Scheiß…

SOPHIA:

„Hi, I have a fashion blog, can I take a photo of you?“, so schallt es mir schon mal ins verschlafene Ohr, wenn ich mich in einem trendigen Berliner Szene-Bezirk morgens auf den Weg zum Bäcker mache. Vor allem wenn ich unbedacht den, zugegeben etwas auffälligen, kobaltblauen 80er-Jahre-Velours-Ledermantel und die usbekische Fellmütze als Outfit gewählt habe. Klarerweise fühle ich mich geehrt, wenn ich als modisches Individuum wahrgenommen werde und freue mich über die eigene Einzigartigkeit, wäre da nicht die Dichte der um den Hals gehängten Spiegelreflex-Kamera-Träger mit Blogger- Ambitionen in den letzten Jahren so explodiert, wie die der Coffee-To-Go-Läden, die aussehen wie eine schlampige WG-Küche. Aber das sind Berlin-spezifische Phänomene. Es soll sie ja geben, die Hipster, die hoffnungsvoll auf gewissen Straßen auf und ab flanieren, nur um „abgeschossen“ zu werden. Ich kann mit vollem Brustton der Überzeugung sagen, dass ich nicht dazu gehöre. Ich ziehe das an, was mir gefällt, gerne auch mal etwas Ausgefalleneres, aber manchmal auch nach dem Motto: Schwarz ist das alte und das neue Schwarz und wird immer schwarz bleiben. Soll heißen, wenn ich meine Tage bekomme oder einen Kater habe, bin ich auch gerne mal unsichtbar und mache nicht auf Joan-Collins-meets-Debbie-Harry-79‘.

Stil kann man nicht kaufen, sagt man so, aber wo bekommt man ihn her, wo fing die eigene Stilbildung an, wie wurde ich äußerlich zu dem, was ich heute darstelle? Wenn ich mir Teenager-Fotos ansehe, dann wird mir schnell klar, dass ich in diesem Alter der allgemeinen Verwirrung auch bei den Outfits sehr konsequent danebengegriffen habe. Andererseits waren das die 90er Jahre, die nicht gerade für ihren klassischen, zeitlosen Stil in die Geschichte eingegangen sind. Hawaii-Hemden, bunte Felljacken mit Riesen-Krägen, Samt-Schlaghosen und Polyester-Hemden mit 70er-Jahre-Muster zur Ballon-Mütze waren Pflicht, Muscheln am Lederband trug man um den Hals und an den Füssen klobiges Plateau in Camouflage-Optik.

Rave-Hippie-meets-Grunge-Barbie
Ekelhaft, aber konsequent, wie die Musik-Videos aus dieser Zeit. Aber vielleicht muss man noch viel weiter zurückschauen, in die Kindheit. Auf der Suche nach frühen Fashion-Statements fällt vor allem mein Hang zu ungewöhnlichen Kopfbedeckungen auf. Im Alter von 2-4 Jahren liebte ich folgende zwei besonders am Kopf: Unterhosen, besonders aus Frottee und ein Häkel-Ungetüm, wie man es verwendet um auf der Kofferraum-Ablage des Autos eine Klopapier-Rolle darunter zu verstecken.

Meine Eltern waren sehr tolerant und ließen mich auch in der Öffentlichkeit diese ungewöhnlichen Kreationen tragen. „Verkleiden“ war mein liebstes Spiel als Kind und die Faschingszeit die schönste Zeit, unbewusst probierte ich mich und meinen späteren Stil vor dem Wohnzimmerspiegel bis zum Erbrechen aus.

Meine erste bewusste Fashion-Offenbarung erlebte ich dann als Teenager im Alter von 14 Jahren, als ich das erste Mal nach London reiste und vollkommen überwältigt in Camden stand. Das musste der Nabel der Welt sein, hier wollte ich leben, lieben, shoppen! Damals gab es noch keine Blogs und Trends verbreiteten sich viel langsamer, und so war ich zurück von meiner England-Reise modetechnisch mindestens ein halbes Jahr voraus mit meinen Karo-Hosen und den Handschellen als Handtaschen-Accessoire. Ich wurde immer selbstbewusster und schuf vermehrt Eigenkreationen, bedruckte und bemalte T-Shirts. Glitzerschrift war top, Worte wie Soul oder Glam, aber auch Album- Titel wie Sheer Heart Attack oder No Rest for the Wicked, sowie Filmzitate (Ich habe eine Wassermelone getragen, Dein Freund war fantastisch) sorgten für Aufsehen im Münchner Underground. Kurz vor meinem Umzug nach Wien wurden meine Fashion-Statements so mutig, dass ich ein Shirt schuf auf dem stand: Munich sucks! Das kam so gut an, dass ich es sogar im kleinen Stil vertrieb und unzählige Exemplare in Umlauf brachte. Irgendwann war die Jeans-und-T-Shirt-Phase vorbei, mittlerweile kleide ich mich nach dem Motto: Dress or Trainers! Also entweder Kleid, oft Vintage, oder Zuhause und Schluffi, dazwischen gibt es nicht viel. In drei Jahren als Party-Veranstalter in Wien habe ich kein Outfit zweimal getragen, das ist doch wohl Ehrensache.

Nur blöd wenn dieses Konzept einmal durcheinander gerät, dann hilft nur noch bluffen: Vor zwei Jahren war ich im Rahmen der Berliner Fashion Week auf eine Modenschau eingeladen. Und da es am Abend zuvor spät wurde, fiel ich aus dem Bett, in einen müffeligen Jogginganzug und drüber meinen schicken Vintage-Christian-Lacroix-Wintermantel, im Kopf den Plan, schnell hin zur Show, dort ist es ganz dunkel, keiner sieht mein Outfit und danach fahr ich sofort zurück ins Bett. Doch blöderweise traf ich dort zwei nette Kolleginnen, die mich überredeten sie noch auf einen exklusiven Launch einer schwedischen Kaufhauskette in einer schnieken Privat-Wohnung in Mitte zu begleiten. An der Tür nahm man uns zuvorkommend die Mäntel ab und ich musste mich meinem Schicksal ergeben. Da stand ich nun in den sackartigen, ausgeblichenen lila Puma-Jogging-Hosen meines Vaters, die dieser in den 80er Jahren beim bulgarischen Volkstanz getragen hatte und musste so tun, als wäre das ein Fashion Statement. Sofort kamen superfreundliche PR-Damen heran und wollte wissen, wer ich denn sei und ich hörte mich selbst mit dem Brustton der Überzeugung sagen: „Ich bin verantwortlich für den Musik und Moderessort bei XY…“. Ich hatte nicht mal Concealer benutzt, es war schrecklich, aber solche Erlebnisse härten ab und man lernt auch in einem Postsack selbstbewusst zu agieren, was ich übrigens auch schon mal gemacht habe, aber das ist eine andere Geschichte…

by Sophia Hoffmann


 

BENJAMIN:

 

Während die anderen Kinder in den Pausen damit beschäftigt waren, Diddlblockzettel und bunte Aufkleber zu tauschen, türmte sich auf meinem Tisch ein Stapel Klatschzeitschriften von meiner Mutter, aus denen ich systematisch die bestgekleideten Prominenten (deren Namen ich damals weder kannte, noch mich dafür interessiere) ausschnitt und feinsäuberlich in ein von mir extra dafür vorgesehenes Album einsortierte. Schon seit frühester Kindheit versuchte ich, meinen Mitmenschen – vor allem meiner leidtragenden Mutter – Modetipps zu geben und war tödlich beleidigt, sollten diese nicht angenommen oder gar belächelt werden. War ich in meinen ersten Schuljahren noch Everybody’s Darling (vor allem Lehrer und die Eltern meiner Spielkameraden liebten mich meiner vorbildlich höflichen Art und meiner stets tadellos sauberen und faltenfreien Kleidung wegen), hatte ich etwas später im Gymnasium mit Problemen und Gegenwehr zu kämpfen. Mein Stil kam anscheinend doch nicht bei Jedermann so gut an, wie ich dachte. Es brach mir zwar das Herz, jedoch war es mir zu jener Zeit wichtiger, Anerkennung und Freunde zu finden, als meinen Stolz auf meinen erlesenen Modegeschmack zu wahren.

 

Skater oder Raver

Also passte ich mich an. Damals dominierten im ländlichen Oberösterreich, in dem ich aufwuchs, zwei große, untereinander konkurrierende, „Gruppen“ – die Skater und die Raver. Da ich einerseits schon mein Lebtag absolut unsportlich war und mir außerdem die überdimensionalen Hosen mit dem Bund unter den Arschbacken von jeher zuwider waren, schloss ich mich, aus Mangel an Alternativen, den Ravern an. Wir Raver waren sozusagen eine Ur-Form der Krocha, ohne Ed Hardy-Accessoires, dafür aber mit extrem weiten Schlaghosen und mindestens zehn Zentimeter hohen Plateauschuhen der Marke Buffalo. Auf die eigentlich verpflichtende Haartracht, die aus blondierten Spitzen und mit ausreichend Gel gegen Himmel frisierten recht kurzen Haaren bestand, verzichtete ich jedoch stets. Irgendwo war selbst für mich damals eine Grenze erreicht.

 

Unglücklich über mein Äußeres, aber halbwegs zufrieden mit meinem Sozialleben, entdeckte ich eines Tages die Wonnen des Internets und damit einhergehend – neben Pornographie – auch Chatrooms und erste Formen sozialer Netzwerke. Auf einem ebensolchen, das eigentlich eine Art Datingseite für Schwule war, lernte ich dann meine bis heute und für immer und ewig beste Freundin auf der ganzen Welt kennen – Carina. Jeden Tag chatteten wir und tauschten uns über Gott und die Welt und die Männer aus, stundenlang, monatelang, tagein, tagaus. Bis wir beschlossen, uns zu treffen. Und was wäre ein besserer Ort für ein erstes Date zweier Seelenverwandter, die beide am Land gefangen waren (Carina stammte aus einem niederösterreichischen Dorf nahe der tschechischen Grenze), als das gemeinsame Ziel der Träume – die Stadt! So kam es, dass ich meine klobigen Monsterschuhe und die zeltartigen Hosen gegen ein meiner Meinung nach „urbaneres“ Outfit eintauschte und das erste Mal den Zug Richtung Wien Westbahnhof bestieg…

by Benjamin Quirico

 


 

CARINA:

 

Meiner Meinung nach hatte ich mich genug zurechtgemacht für das erste Treffen mit meinem schwulen Freund aus dem Internet, von dem ich schon wochenlang schwärmte und den ich nun endlich treffen sollte. Ich hatte nicht viel für Mode übrig, färbte mir also nur die Haare auf eine halbwegs natürliche Farbe zurück, denn dass ein ausgewaschenes grau-blau aus meinen Punkzeiten nicht gerade sehr ansehnlich war, das konnte ich gerade noch im Spiegel erkennen. Eine Jeans und ein T-Shirt mit Powerpuff-Girls-Motiv sollten ihren Zweck erfüllen, schließlich hatte ich das Ding bei Pimkie gekauft und dort gingen, meines damaligen Erachtens nach, viele „coole“ Mädchen shoppen. Benny und ich setzten mit unserem Treffen einen ersten Meilenstein in einer langen und unglaublich ereignisreichen Zeit, die bis heute andauert. Mit süßen 16 Jahren begannen wir, das Nachtleben in Wiens bekanntester Schwulenbar aufzumischen. Während ich mir jedes Wochenende ein neues Outfit zusammenstellte, das ich heute nicht einmal meinen schlimmsten Feind tragen lassen würde, glänzte Benny stets durch seine auffällige Modewahl. Und wenn ich sage glänzte, dann meine ich das bestimmt nicht im positiven Sinne. Manchmal frage ich mich, ob uns die Leute, mit denen wir damals unsere Abende verbracht haben, wirklich mochten. Oder wir ihnen einfach nur leidgetan haben mit unseren schrillen, aber geschmacklosen Erscheinungen. Das Durchsehen der Fotos, für die wir jeden Freitag und Samstag stolz posiert haben, lässt einem wirklich das Herz bluten und die Frage aufkommen: Warum haben wir dass eigentlich nicht bemerkt?

 

Von modischen Katastrophen in Homobars zur Emoszene

Irgendwann wurde die Frage nach dem eigenen Stil allerdings unumgänglich, spätestens als Benny mir aufgeregt von sogenannten „Emos“ erzählte, die es in Amerika gab. So kam es, dass wir das Glätteisen und ganz besonders viel Schminke für uns entdeckten. Plötzlich waren unsere ungekämmten Zottelmähnen gebändigt, unsere Gesichter puppenähnlich und wir konnten von unserem (fast) eigenen Stil sprechen. Auffallen, sei es nun durch Kleidung oder Persönlichkeit, war spätestens seit unseren Glanzzeiten in der Schwulenszene zu unserem größten Hobby geworden. Von diesem Zeitpunkt an war es auch mir wichtig, dass ich gut aussah. Ich wurde immer farbenfroher, kombinierte Streifen mit Punkten, trug nur noch bunte Strumpfhosen (womit ich heute noch angebe, denn zu der Zeit waren Kleinkinder und ich die einzigen Menschen, die sich in so etwas blicken ließen) und tat alles, um aufzufallen. Benny hingegen ging allmählich in die klassische Richtung zu schwarz über und wurde um einiges eleganter und glamouröser. In diesem Zeitraum experimentierten wir besonders viel herum und bekamen irgendwann ein Gefühl für den richtigen Stil (auch da gab es natürlich unzählige Fehltritte!). Heute, und somit nach jahrelanger gegenseitiger Beobachtung von zwei Landeiern, die irgendwann groß rauskommen wollten, kann man sagen, dass wir beide auf jeden Fall stilecht geworden sind. Sei es nun aufgrund unseres Charakters oder durch unseren Kleidungsstil, ich tippe eher auf Ersteres. Denn eigentlich brauchten wir uns nie besonders auffällig anzuziehen, um in irgendeiner Weise auffällig zu sein.

by Carina Schöfmann